Testentwicklung
Der neue BITV-Test
23.09.2011
Der neue BITV-Test bietet die Prüfung der Barrierefreiheit von Webangeboten nach den neuen Anforderungen der BITV 2.0.
Der am 1. Juni 2011 als Entwurf vorgestellte neue BITV-Test ist nun, nach dem Inkrafttreten der BITV 2.0 am 22. September 2011, der offizielle BITV-Test.
Dies ist zur Zeit die Adresse des neuen Prüfverfahrens: testen.bitvtest2.de/.
Der Test wird in Kürze auch unter der Adresse des bisherigen Tests, testen.bitvtest.de,verfügbar sein (hier liegt zur Zeit noch der alte Test).
In der vom Gesetzgeber gesetzten Übergangsfrist für Webangebote, die bis zum 22. 3. 2012 fertiggestellt werden und auf die die BITV 2 nicht zwingend anzuwenden ist, gibt es bis zum 22. September 2012 auf Wunsch auch den 'alten' BITV-Test. Wir empfehlen aber dringend, schon wegen der beschränkten zeitliche Gültigkeit der Prüfung, den neuen Test zu nutzen.
Es gibt auch einen Artikel über Änderungen für Web-Designer und -Entwickler. Dort beschreiben wir, an welchen Punkten sich die Bewertung von Umsetzungen im neuen Test geändert hat.
Bevor wir die konkreten Änderungen am BITV-Test vorstellen, wollen wir kurz
- auf den neuen, technikneutralen Ansatz der WCAG 2.0 / BITV 2.0 eingehen
- ein paar Unterschiede zwischen den WCAG 2.0 und der BITV 2.0 hervorheben, und
- die Rolle der WCAG 2.0 Techniken für die Konkretisierung der Anforderungen im neuen BITV-Test beschreiben.
Die Technikneutralität der WCAG 2.0 / BITV 2.0 und zukünftige Änderungen im Test
Die Anforderungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.0), auf denen die BITV 2.0 aufbaut, sind grundsätzlich technikneutral formuliert, dass heißt, sie gelten nicht nur für normale HTML-basierte Webangebote, sondern auch für andere in Webangeboten genutzte Formate (etwa Flash, Silverlight, oder PDF).
Dem entspricht in der BITV 2.0 die Angabe des sachlichen Geltungsbereichs der Verordnung: sie gilt allgemein für Internet und Intranet-Angebote, auch hier wird also nicht nach eingesetzten Web-Techniken differenziert. Zusätzlich gilt die Verordnung auch für "mittels Informationstechnik realisierte grafische Programmoberflächen, die öffentlich zugänglich sind" (§1 Sachlicher Geltungsbereich).
Wegen der grundsätzlichen Technikneutralität sind die dokumentierten Techniken für die barrierefreie Umsetzung (Techniques for WCAG 2.0) besonders wichtig. Mit der Weiterentwicklung von Standards (Stichwort HTML 5, CSS 3, WAI-ARIA), Web-Technologien und diese unterstützenden Browsern und Hilfsmitteln kommen fortlaufend neue Techniken hinzu. Wie eine Anforderung konkret barrierefrei umzusetzen ist, ist in der Technik dokumentiert.
Für die zukünftigen Bearbeitungen des BITV-Tests bedeutet das, dass der Zyklus der jährlichen Überarbeitung aufgegeben wird. Änderungen an den Prüfschritten wird es zukünftig häufiger geben, sie werden über Meldungen auf der bitvtest.de-Website und über Twitter kommuniziert.
Unterschiede zwischen BITV 2.0 und WCAG 2.0
Die BITV 2 entspricht im Aufbau und inhaltlich den WCAG 2.0 mit zwei Ausnahmen:
- Die Anforderung "2.4.8 Standort", die in den WCAG auf Level AAA steht (2.4.8 Location), ist in der BITV 2 in die Priorität 1 übernommen worden, gilt also generell. Der neue BITV-Test fordert also abweichend von den WCAG 2.0 eine klare Kennzeichnung des Standorts eines Nutzers innerhalb eines Webangebotes.
- Für die Startseiten der Internet- oder Intranet-Angebote von Bundesbehörden und -Dienststellen gilt außerdem die Anlage 2, die die Bereitstellung von Informationen über Inhalt und Navigation des Angebotes in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache vorschreibt. Der BITV-Test wird nach Ablauf der Umsetzungsfrist der BITV 2 die Erfüllung dieser Anforderungen bei Webangeboten der Bundesbehörden außerhalb der eigentlichen Prüfschritte prüfen, und zwar in der Prüfung der Eignung eines zu testenden Angebots.
Die Konkretisierung der Anforderungen und Bedingungen der BITV 2.0 im neuen Test
In der BITV 1 waren die konkreten (und damit prüfbaren) Anforderungen an Websites sehr allgemein gehalten und waren oft erst im BITV-Test genauer festgelegt worden. Für die neue BITV 2.0 gibt es nun als Bezugspunkt die (nicht-normativen) Techniques for WCAG 2.0. Einfach-für-alle bietet inzwischen eine deutsche Übersetzung der WCAG 2.0 Techniken an.
Bei der Entwicklung des neuen BITV-Tests hat ein Abgleich der WCAG 2.0 Techniken und der darin enthaltenen Tests mit den neuen Prüfschritten stattgefunden, um eventuelle Lücken in der Prüfung zu identifizieren und zu schließen.
Wenn sich manche Tests der WCAG 2.0-Techniken nicht in gleicher Form in den neuen Prüfschritten wiederfinden, liegt das daran, dass die Techniken in der Regel nur einen von verschiedenen möglichen Wegen der barrierefreien Umsetzung einer bestimmte Anforderung bzw. Bedingung beschreiben. Der Test der Technik greift also nur, wenn diese auch eingesetzt wird.
Die Prüfschritte des BITV-Tests testen dagegen die Erfüllung der Bedingung, nicht den Einsatz einer bestimmten Technik zu deren Erfüllung.
Dennoch sind eine Reihe von Prüfschritten spezifischer geworden, um bestimmte Techniken, wenn sie genutzt werden, zu bewerten. Wo der alte Test etwa Sprunglinks nur im Abschnitt 'Bewertung' der Überschriftenprüfung (3.5.1) erwähnte, enthält die nun ausgegliederte Prüfung der Bereichsauszeichnung (neuer Prüfschritt 2.4.1a) explizite Anforderungen an den Einsatz von Sprunglinks, die aus den WCAG 2.0 Techniken abgeleitet sind (in diesem Falle G123 und G124).
Änderungen im neuen BITV-Test
Formale Änderungen: Aufbau, Nummerierung, Bewertungsschema
Im Folgenden fassen wir die wesentlichen formalen Änderungen im BITV-Test zusammen:
- Der Aufbau und das Prüfkonzept des Prüfverfahrens bleiben im Wesentlichen unverändert. Für Prüfer gibt es geringfügige Änderungen beim Ablauf, vom Anlegen eines Tests bis zur abschließenden Qualitätssicherung. Die Selbstbewertung ist weiterhin kostenlos nutzbar.
- Statt 52 Prüfschritten gibt es jetzt nur noch 50 Prüfschritte.
- Die Prüfschritte haben eine neue Nummerierung, die sich an der BITV 2 und damit an den WCAG 2.0 ausrichtet. (In diesem Artikel kann man alte und neue Prüfschritte leicht an der Art der Nummerierung unterscheiden: alle neuen Prüfschritte tragen am Ende einen Kleinbuchstaben).
- Manche BITV 2.0-Bedingungen (diese entsprechen den WCAG 2.0 Success Criteria) werden durch mehrere Prüfschritte abgedeckt; diese Prüfschritte sind dann über die Kleinbuchstaben nach der dritten Nummer differenziert. Die Bedingung "1.3.1 Informationen und Beziehungen" (1.3.1 Info and Relationships) etwa wird in den Prüfschritten 1.1.3a bis 1.1.3g geprüft, also in insgesamt 7 Prüfschritten.
- In anderen Fällen prüft ein Prüfschritt mehr als eine Bedingung der BITV 2.0. So werden etwa die Bedingungen "2.1.1 Tastaturbedienbarkeit" (2.1.1 Keyboard) und "2.1.2 Keine Tastaturfalle" (2.1.2 No Keyboard Trap) beide im Prüfschritt 2.1.1a Ohne Maus nutzbar geprüft, da vom praktischen Gesichtspunkt her die Prüfung der Tastaturnutzbarkeit die Entdeckung von Tastaturfallen einschließt. Für mache Bedingungen gibt es also keinen explizit zugeordneten Prüfschritt, da sie bereits in einem Prüfschritt geprüft werden, der einer anderen Bedingung zugeordnet ist.
- Einige Prüfschritte sind umbenannt worden, um inhaltlichen Änderungen Rechnung zu tragen. So heißt der alte Prüfschritt 2.2.1 Grafiken vor wechselndem Hintergrund erkennbar jetzt 1.4.3c Inhalte bei benutzerdefinierten Farben erkennbar.
- Die Selbstbewertung hat nun auch das fünfstufige Bewertungsschema, nicht mehr das dreistufige. Dadurch gibt es eine größere Nähe zu den Bewertungen des vollen Tests wichtig für alle Entwickler, die sich anhand der Selbstbewertung einen Eindruck verschaffen wollen, mit wie viel Punktabzug bei einem neuen Angebot insgesamt zu rechnen ist.
Prüfschritte, die komplett entfallen
Einige Prüfschritte wurden ersatzlos gestrichen:
- Alter PS 3.3.1 Stylesheets für die Positionierung verwendet: Entfällt, da die BITV 2 nicht grundsätzlich die Nutzung von Layouttabellen untersagt (wo sie eingesetzt werden, müssen sie natürlich linearisierbar sein und auf Strukturmarkup verzichten).
- Alter PS 6.3.1 Auch ohne Scripte nutzbar: Die BITV 2.0 lässt die Forderung fallen, dass alle Webangebote auch bei abgeschaltetem JavaScript funktionieren müssen. Deswegen entfällt die Prüfung der Nutzbarkeit ohne Scripte. Dafür wird jedoch in einer Reihe von Prüfschritten implizit geprüft, ob JavaScript selbst barrierefrei eingesetzt wird. So prüft etwa der neue PS 1.3.2b Sinnvolle Reihenfolge, ob dynamisch generierte Inhalte auch im Quelltext an der richtigen Stelle eingefügt oder eingeblendet werden.
- Alter PS 11.1.1 Angemessene Formate: Entfällt als eigener Prüfschritt. Der neue PS 2.4.8b Zweck der Alternativversion einleuchtend prüft allerdings, ob Inhalte in schlecht zugänglichen Formaten, für die zugängliche Alternativen bereitgehalten werden, nicht auch in der Grundform zugänglich hätten umgesetzt werden können. Ansonsten sind gemäß der Technikneutralität der BITV 2.0 für verschiedene Formate verschiedene Prüfungen zuständig. Für PDFs etwa ist dies zukünftig die (in Entwicklung befindliche) separate PDF-Prüfung, die analog zur HTML-Prüfung als 'zweite Säule' des BITV-Tests aufgebaut wird.
- Alter PS 14.1.1 Einfache Wörter: Der Prüfschritt entfällt, er wäre nur noch über Priorität II Anforderungen der BITV 2.0 also "3.1.3 Ungebräuchliche Wörter" (3.1.3 Unusual Words) und "3.1.5 Einfache Sprache" (3.1.5 Reading Level) zu decken.
Prüfschritte, die in andere Prüfschritte integriert worden sind
Neue Prüfschritte
- 1.2.1a Alternativen für Audiodateien und stumme Videos: Dieser jetzt eigenständige Prüfschritt war bisher enthalten im alten Prüfschritt 1.1.2 Alternativtexte für Grafiken und Objekte.
- 1.3.2b Sinnvolle Reihenfolge: Dieser neue Prüfschritt betrachtet zum einen die Seite ohne CSS, um zu sehen, ob die Reihenfolge der Seiteninhalte auch darstellungsunabhängig sinnvoll ist. Darüber hinaus prüft er mit Firebug, ob Nutzer dynamische Änderungen mitbekommen und durch Scripts eingefügte Elemente an sinnvoller Stelle im Quelltext erscheinen.
- 1.3.3a Auch ohne sensorische Merkmale nutzbar: Fasst die alte Prüfung der textlicher Bezüge auf Farbe im alten Prüfschritt 2.1.1 Auch ohne Farben nutzbar mit der Prüfung anderer Bezüge auf sensorische Merkmale wie Form, Größe, Position, und Ton in einem neuen Prüfschritt zusammen. Dieser Prüfschritt deckt also gleichzeitig die BITV 2.0-Anforderung "1.4.1 Farbe" (1.4.1 Use of Color) ab.
- 1.4.2a Ton abschaltbar: Wurde bisher nicht geprüft. Automatisch startende Töne müssen abschaltbar sein.
- 2.3.1a Verzicht auf Flackern: Jetzt ein eigenständiger Prüfschritt. Die Prüfung war bisher im alten PS 7.2.1 Verzicht auf Ablenkung durch Blinken oder Bewegung enthalten.
- 2.4.1a Inhaltsbereiche strukturiert: Die Bereichsüberschriften wurden bisher gemeinsam mit Inhaltsüberschriften im alten PS 3.5.1 HTML-Strukturelemente für Überschriften geprüft. Jetzt werden Inhaltsüberschriften und die Bereichsauszeichnung getrennt geprüft. Im neuen Prüfschritt ist die Prüfung von WAI-ARIA Landmarks, Sprunglinks, und Frame-Titeln hinzugekommen.
- 3.2.2a Keine unerwartete Kontextänderung bei Eingabe: Bisher wurden unerwartete Kontextänderungen nur implizit im Prüfschritt 13.4.2 Position im Webauftritt klar geprüft. Jetzt wird explizit geprüft, ob Formulareingaben unerwartete Änderungen hervorrufen (etwa der Aufruf einer neue Seite oder Fokusversetzungen).
- 3.3.1a Fehlermeldungen hilfreich: Auch Fehlermeldungen wurden bereits implizit im Prüfschritt 13.4.2 Position im Webauftritt klar geprüft. Jetzt wird explizit geprüft, ob ausgegebene Fehlermeldungen hilfreich sind. Die Fehlerbehandlung wird aber nicht generell verlangt; wenn sie angeboten wird, muss sie jedoch verständlich sein (und natürlich auch andere Anforderungen an Barrierefreiheit erfüllen).
- 3.3.2a Formularfelder richtig beschriftet: Dieser Prüfschritt ist inhaltlich nicht eigentlich neu, er fasst aber zwei alte Prüfschritte (10.2.1 Beschriftung von Formularfeldern richtig angeordnet und 12.4.1 Label mit Formularelementen verknüpft) mit der Anforderung an aussagekräftige Beschriftungen, Bedingung 3.3.2 Beschriftungen (3.3.2 Labels or Instructions) in einem einzigen Prüfschritt zusammen.
- 3.3.4a Fehlervermeidung wird unterstützt: Hier wird geprüft, ob es bei wichtigen Dateneingaben (etwa finanzielle Transaktionen oder persönliche Daten) eine Möglichkeit gibt, die Dateneingabe rückgängig zu machen oder sie vor dem Abschicken zu überprüfen und zu korrigieren.
- 4.1.2a Name und Rolle von Bedienelementen verfügbar: Hier wird geprüft, ob bei selbstgebastelten Bedienelementen, die unsemantische HTML-Elemente wie div oder span für Schaltflächen nutzen, die Semantik mittels WAI-ARIA nachgebildet wird, so dass deren Name und Rolle potenziell verfügbar sind auch wenn WAI-ARIA noch nicht ausreichend von Browsern und Hilfsmitteln unterstützt wird. Eine Gewähr dafür, dass die WAI-ARIA Semantik also tatsächlich beim Hilfsmittel ankommt, bietet die Erfüllung dieses Prüfschrittes nicht.