07.07.2011
Wenn Politiker Ansprachen halten, die auf Video aufgezeichnet in die Webseiten von Regierungen oder öffentlich-rechtlichen Medien eingebaut werden, brauchen sie dann nach der demnächst in Kraft tretenden BITV 2.0 eigentlich zwingend eine Untertitelung?
Nach Bedingung 1.2.1 des Entwurfs der BITV 2.0 sollen alle Videos mit Tonspur Untertitel haben. Die BITV folgt hier (wie auch sonst) den Anforderungen der WCAG 2.0. Selbst Liveübertragungen sollen noch eine Untertitelung erhalten (Bedingung 1.2.4 Live-Untertitel) - ein hoher Aufwand, der in der Praxis nur schwer umzusetzen sein wird.
Wie sieht es nun aber mit aufgezeichneten Videos aus, die auf Webangeboten wie tagesschau.de oder bundesregierung.de eingestellt werden? Bei der Einbindung solcher Videos lässt die BITV 2.0 ganz wie die WCAG 2.0 ein Schlupfloch: Die Forderung nach Untertitelung "gilt nicht für Medien-Alternativen für Text, die klar als solche gekennzeichnet sind."
Kommt es also darauf an, was das eigentliche Medium ist und was die spätere Medienalternative? Muss es den Text zuvor gegeben haben, damit das entsprechende Video dazu eine Medienalternative sein kann? Oder reicht es auch, wenn eine spätere Transkription die Inhalte eines Videos Wort für Wort wiedergibt? Aus der Sicht schwerhöriger und gehörloser Nutzer ist das eigentlich nicht entscheidend; es ist auch nicht immer festzustellen, welches Medium zuerst da war. Die wichtige Frage ist, ob und wann Text und Video als gleichwertige Alternativen betrachtet werden können.
Das Schlupfloch Medienalternative kommt ohnehin nur in Frage, wenn beide Medien die gleichen Inhalte haben; wenn also etwa ein Nachrichtensprecher einen vorgegebenen Text abliest oder eine nachträgliche Transkription die Videoaufzeichnung einer Rede 1:1 erfasst. Wenn das Video wichtige Informationen enthält, die sich in einer Transkription nicht gleichwertig wiedergeben lassen, ist in jedem Falle eine Untertitelung (und natürlich auch eine Audiodeskription wichtiger Ereignisse im Bild) notwendig.
Zu welchem Grad eine Transkription die Inhalte eines Videos wirklich wiedergibt, ist natürlich immer einem Ermessensfrage: Es gibt zahlreiche Abstufungen zwischen einem neutralen Nachrichtensprecher und einem Politiker, dessen Mimik und Gestik man entnehmen kann, dass er nicht die Wahrheit sagt.
Selbst wenn die aufgezeichnete Ansprache genau einer zuvor vorliegenden Textversion entspricht, hat das Video mit Untertiteln klare Vorteile: Mimik und Gestik der Sprecher sind synchron sichtbar und tragen oft zur Bedeutung bei. Deswegen interpretiert der BITV-Test das Vorhandensein eines Redetextes oder einer Transkription nicht als wirklich gleichwertig, auch wenn die Textfassung auch Vorteile gegenüber der synchronen Untertitelung hat: man kann sie zum Beispiel im eigenen Tempo lesen und kopieren oder ausdrucken.
Wenn Redetext oder Transkription des Videos einer Redners oder Sprechers den gesprochenen Text vollständig enthalten, gibt es im Prüfschritt 1.2.2a "Videos mit Untertiteln" des neuen BITV-Tests immerhin ein "eher erfüllt".
Wenn das Videobild Inhalte hat, die nicht in der Transkription vorkommen oder nicht adäquat darstellbar sind, kommen die Abstufungen der Bewertung von "teilweise erfüllt" bis "nicht erfüllt" in Betracht.
Die volle Punktzahl gibt es in diesem Prüfschritt jedenfalls immer nur, wenn das Video untertitelt ist, also die Anforderung 1.2.2 "Erweiterte Untertitel (Captions)" erfüllt ist.
Wenn statt einer Untertitelung eine Transkription angeboten wird, muss der Zusammenhang zwischen Video und Transkription deutlich werden, das heißt, die Seite muss im unmittelbaren Kontext des eingebundenen Videos entweder die vollständige Transkription enthalten oder deutlich auf sie verlinken.