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WCAG verbessern
Das Styleswitcher-Schlupfloch

11.01.2012

Die Nutzung von Styleswitchern als Schlupfloch zur Erfüllung der Anforderungen von WCAG oder BITV kann ernsthafte Zugänglichkeitsprobleme schaffen, besonders für sehbehinderte, ältere und weniger erfahrene Nutzer.

Autor: Detlev Fischer

Styleswitcher sind Bedienelemente auf der Seite, mit denen Nutzer eine andere Seitenversion aufrufen können, die besser an die individuellen Bedürfnisse angepasst ist.

So können Styleswitcher Schriftkontraste erhöhen oder die Schrift stufenweise vergrößern. Denkbar ist auch die Umformatierung der Seiteninhalte in einem einspaltigen Layout mit größerem Text.

Vor- und Nachteile von Styleswitchern für Kontrast und Textgröße

Aus Nutzersicht haben solche Styleswitcher einige wirkliche Vorteile:

  • Wenig erfahrene und ältere Nutzer kennen häufig nicht die Menüs, Voreinstellungen und Tastaturbefehle ihres Browsers. Viele werden die dort versteckten individuellen Anpassungsmöglichkeiten nicht nutzen, selbst wenn sie sie gut brauchen könnten. Gut platzierte und verständliche Styleswitcher werden dagegen leichter gefunden.
  • Wenn Styleswitcher erkannt und verstanden werden, erleichtern sie indviduelle Einstellungen, besonders für die vielen älteren Nutzer, die lediglich die Textgröße leicht heraufsetzen wollen. (Vielen sehehinderten Nutzen nützt der meist geringe Vergrößerungsfaktor, den Styleswitcher bieten, dagegen wenig. Aber diese Nutzer sind in der Regel besser vertraut mit individuellen Einstellungsmöglichkeiten über System, Browser-Settings oder Hilfsmittel, da sie ohne diese die Webangebote gar nicht nutzen könnten.)
  • Es gibt inzwischen einige Konventionen (etwa die Reihe von 'A's mit zunehmender Textgröße, und das kreisförmige schwarz-weiße Kontrastsymbol, das aus den Kontrasteinstellungen von Bildschirmen bekannt ist). Zwar ist das Verhalten solcher Bedienelemente alles andere als klar, aber viel Nutzer erkennen und nutzen sie inzwischen.

Andererseits bringt der Einsatz von Styleswitchern auch einige Nachteile mit sich:

  • Styleswitcher bedeuten zusätzliche Elemente am Seitenbeginn, die nichts mit den Inhalten zu tun haben. Wenn sie tastaturbedienbar sind (und das sollten sie sein) schaffen sie zusätzliche Fokuspositionen am Anfang, die alle Tastaturnutzer stören, die Styleswitcher nicht brauchen.
  • Styleswitcher verdoppeln Funktionen, die auch anderswo verfügbar sind, und können damit die Entdeckung wirksamerer Einstellungsoptionen verhindern. Wenn ich etwa über den Styleswitcher die Textgröße auf lediglich 120% heraufsetzen kann, finde ich vielleicht nicht heraus, dass der Browswer eine stärkere Vergrößerung bietet. Manche Nutzer glauben unter Umständen, dass auf Seiten, die keine sichtbaren Anpassungsmöglichkeiten bieten, Textgröße und Kontrast nicht angepasst werden können.
  • Auch wenn es ein paar Konventionen gibt, findet sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Umsetzungen von Styleswitchern in freier Wildbahn. Nutzer müssen also auf einer neuen Seite in jedem Fall erst mal ausprobieren, ob und wie die Einstellungen funktionieren und ob sie überhaupt ausreichen.
  • Oft sind Styleswitcher schlecht beschriftet und klein gehalten, damit sie wenig Platz wegnehmen und nicht vom Inhalt ablenken. Damit verschlechtern sie aber auch ihre Chancen, von den Nutzern, die sie brauchen könnten, erkannt und verstanden zu werden. Einige Styleswitcher wirken daher etwas wie ein Alibi - im schlimmsten Fall sind nicht einmal die Barrierefreiheits-Einstellungen selbst barrierefrei zu erreichen, wie etwa bei dem Angebot der Deutschen Schaganfallhilfe.

Styleswitcher entdecken und verstehen

Ob ein Styleswitcher, gerade auf vollgestopften Seiten, entdeckt wird, ist oft Glückssache. Oft sind die Symbole des Styleswitchers ganz ohne Label. Sie mögen mit einem title-Attribut ergänzt sein, das bei MouseOver als Tooltip angezeigt und auch von Screenreadern ausgegeben wird. Für die Gruppe sehbehinderter Nutzer sind diese Informationen jedoch nicht deutlich vorhanden, solange sie nicht die Maus über die Elemente bewegen. Tastaturnutzer gehen leer aus.

Im Lichte der WCAG 2.0 wirft der Test in F26: Failure of Success Criterion 1.3.3 due to using a graphical symbol alone to convey information (deutsche Übersetzung) schon die Frage auf, ob die Nutzung des title-Attributs ausreicht, um einen Styleswitcher mit Symbolen ohne permanent sichtbare Beschriftung WCAG-konform zu machen.

Die von den Elementen des Styleswitchers ausgelöste Funktionsweise ist oft schwer vorherzusagen. Soll die Aktivierung eines Kontrast-Symbols unmittelbar ein Stylesheet mit stärkeren Kontrasten laden? Einen Dialog bzw. eine Lightbox öffnen? Ein Ausklapp-Menü ausklappen? Oder zu einer separaten Seite für Barrierefreiheits-Einstellungen linken? All das und mehr ist möglich.

Styleswitcher als Schlupflöcher

Während man also feststellen kann, dass Styleswitcher Vor- und Nachteile haben, ist durch die Veröffentlichung der WCAG 2.0 im Dezember 2009 eine neue Situation geschaffen worden. Die WCAG erlauben nicht barrierefreien Seiten die Erfüllung der Konformitätsanforderungen über die Bereitstellung einer sogenannten conforming alternate version (konforme Alternativversion), wenn diese über einen "die Barrierefreiheit unterstützenden Mechanismus" erreicht werden kann (oft sind das Styleswitcher auf der Seite).

Für die BITV 2.0 sieht es etwas anders aus als für die WCAG 2.0. Die Begründung der BITV sagt eindeutig:

Entsprechend der Definition von Barrierefreiheit (vgl. § 4 Behindertengleichstellungsgesetz) sind Sonderlösungen möglichst zu vermeiden und Alternativangebote für nicht den Standards der Anlage 1 entsprechenden Inhalte grundsätzlich ausgeschlossen.
Die Begründung der BITV 2, Zu § 3 Absatz 1

Hier muss also geprüft werden, ob der Zweck einer Alternativversion wirklich einleuchtend ist, etwa weil sich bestimmte Inhalte technisch nicht barrierefrei umsetzen ließen. Der neue BITV-Test prüft das in Prüfschritt 2.4.8 Zweck der Alternativversion einleuchtend.

Doch zurück zu den WCAG - gerade vor dem Hintergrund der Forderungen, der BITV-Test möge sich enger an den WCAG ausrichten.

Anforderungen an Alternativversionen in den WCAG-Konformitätsbedingungnen

Nun legen die WCAG-Konformitätsbedingungen über die Definition des Begriffes "konforme Alternativversion" immerhin fest, wie diese erreichbar sein soll. In einer Situation, in der ein Großteil der Seitenaufrufe direkt aus den Suchmaschinen kommt, ist natürlich die Frage, welche Version einer Seite oben in der Hitlist erscheint: die konforme oder die (eventuell beliebtere) nicht konforme?

Wer auf der nicht-konformen Version landet, muss erst mal überhaupt verstehen, dass es auch eine konforme Version gibt und herausfinden, wie man zu ihr kommt.

Der alternativ in Punkt 4 der Definition von Konforme Alternativversion genannte Einsatz einer bedingten Umleitung (conditional redirect) scheint wenig realitätsnah. Hier würden alle Erstbenutzer erst mal auf der konformen Version der Seite landen, die hübschere aber weniger zugängliche nicht-konforme Version wird also eigentlich zur Alternative, die der Nutzer bewusst auswählen müsste. Die Site würde das dann über einen Cookie abspeichern und nun in dieser Session bzw. für diesen Nutzer die Seiten der nicht-konformen Version anzeigen. Hat das irgend jemand schon mal in der freien Wildbahn gesehen? Wir wären gespannt.

Keine Forderung nach Styleswitchern am Seitenbeginn

Die WCAG sehen vor, dass der Switch (oder umständlich ausgedrückt, der "die Barrierefreiheit unterstützende Mechanismus") alle WCAG-Erfolgskriterien auf dem gewählten Konformitätslevel erfüllt. Bislang gibt es jedoch keine Forderung der WCAG, dass der Switch sich am Seitenbeginn befindet.

Das könnte ein bloßes Versehen sein. Unser Kommentar an die WCAG Working Group über Technik G174: Providing a control with a sufficient contrast ratio that allows users to switch to a presentation that uses sufficient contrast wies auf das Schlupfloch hin und schlug vor, dass zumindest die Styleswitcher-Position am Seitenanfang vorgeschrieben und die Überprüfung demnach auch in den Test der Technik aufgenommen werden sollte. Aber die WCAG Working Group sah das anders:

"This technique does not require that the style switcher be at the top of the page. This is just good practice and therefore we included it in the examples to encourage it. It is therefore not in the technique nor in the test criteria. However, we are adding a note about this in the description."
Response of WCAG Working Group, 23. 03. 2011

Vielleicht fand die WCAG Working Group die Bezeichnung "am Beginn der Seite" zu unscharf und eingedenk der zahlreichen unterschiedlichen Benutzeragenten und Bildschirmgrößen nicht mit dem Kriterium der Testbarkeit vereinbar? In einer anderen Technik (G198: Providing a way for the user to turn the time limit off), hatte die WCAG Working Group dieses Problem jedoch nicht: hier wird die Position nahe des Seitenbeginns gefordert.

Keine Forderung nach Mindestkontrasten auf Seiten mit konformer Alternativversion

Bei den Erfolgskriterien 1.4.3 Kontrast (Minimum) und 1.4.6 Kontrast (erhöht) bringt die Erfüllung über eine konforme Alternativversion besonders für sehbehinderte Nutzer erhebliche Probleme mit sich. Denn die Sufficient Techniques für 1.4.3 und 1.4.6 fordern keine Mindestkontraste für die nicht-konformen Ausgangsseiten. Es ist also schlechte Praxis, aber absolut WCAG-konform, dem Nutzer Seiten mit lachhaft niedrigen Textkontrasten anzubieten, solange nur irgendwo auf der Seite ein Styleswitcher exististiert, der eine konforme Alternativversion lädt.

Fazit

Die Antwort der WCAG Working Group auf unseren Kommentar ist nicht befriedigend und legt den Verdacht nahe, dass das genannte Schlupfoch mit voller Absicht weiter besteht. Es erlaubt Seitenanbietern, eine für sehbehinderte und ältere Nutzer zentral wichtige Anforderung zu umgehen.

Unserer Auffassung nach sollten die Erfolgskriterien 1.4.3 und 1.4.6 für alle Inhalte einen Mindestkontrast vorschreiben. Bei Seiten mit konformen Alternativversionen könnte dieser geringer ausfallen als 4,5:1 (der BITV-Test fordert etwa für die Ausgangsansicht 3,5:1 für normalen Text und 3:1 für großen Text).

Wenn Styleswitcher zur Erfüllung der WCAG-Erfolgskrtiterien eingesetzt werden (und nicht nur für zusätzliche Versionen für bereits konforme Seiten), sollten die WCAG verlangen, nicht nur empfehlen, dass diese nahe des Seitenbeginns platziert werden (sowohl visuell als auch im Quellcode), um die Chance zu erhöhen, dass Nutzer sie auch finden.

Wichtig ist, dass eine Situation verhindert wird, in der Nutzer mit hellgrauem Text auf weiß zu kämpfen haben und nach einem Styleswitcher fahnden müssen, während die betroffenen Seiten sich derweil mit WCAG-Konformität brüsten.