28.01.2011
Diesen Monat prüften wir das neue Webangebot von SOS Kinderdorf, das im Dezember 2010 mit einer "Goldenen Biene" ausgezeichnet worden ist.
Startseite SOS Kinderdorf (www.sos-kinderdorf.de)
Uns ging es bei dem Test aber nicht darum, kritisch nachzuprüfen, ob diese Biene zu Recht vergeben wurde. Tatsächlich hat BIK das Angebot schon einige Monate zuvor in einem abschließenden Test getestet und mit "gut zugänglich" bewertet. Wenn wir hier also dennoch auch Kritik üben, handelt es sich also um 'Meckern auf hohem Niveau'.
Das Angebot von SOS Kinderdorf (www.sos-kinderdorf.de) ist für uns deshalb von besonderem Interesse, weil hier neue Webtechniken zum Einsatz kommen (JavaScript-gesteuerte "Bühne" auf der Startseite, Web-Fonts) und gleichzeitig Wert darauf gelegt worden ist, dass das Angebot in verschiedenen Umgebungen und auch mit Hilfsmitteln gut nutzbar bleibt. So ist WAI-ARIA eingesetzt und mit Screenreader-Nutzern getestet worden. Der Test des Monats gibt uns nun Gelegenheit, die Vor- und Nachteile der eingesetzten Webtechniken zu besprechen und zur Diskussion zu stellen.
Mit 91,25 Punkten ist die Website gut zugänglich. Das Ergebnis hat sich im Vergleich zum abschließenden Test vor einigen Monaten (91,5) kaum verändert, auch wenn es einige Verschiebungen bei den Bewertungen gegeben hat. Dies liegt zum einen an kleineren Korrekturen in Reaktion auf den ersten Test, zum anderen an einer veränderten Seitenauswahl, bei der einige Defizite stärker zum Tragen kamen (etwa bei der Schriftvergrößerbarkeit).
Einige Punkte, die aus Sicht der Barrierefreiheit zu bemängeln sind, haben mit der kleinteiligen, magazinhaften und stark grafisch orientierten Umsetzung zu tun:
title
-Attribut den Text "Transkript des Videos" trägt. Allerdings führt dieser Link nicht auf eine Transkription, sondern lediglich auf eine Seite mit einem Link auf www.sos-kinderdorf-stiftung.de. (Im ersten Test vom Oktober 2010 hatten einige Videos dagegen Textalternativen, die im Wesentlichen die gleichen Inhalte transportierten). Das Fehlen der Audiodeskription ist leichter zu verschmerzen: hier fehlen nur die Spendentelefonnummer und zwei Namen.Andere Probleme betreffen die Nutzbarkeit der Website und wurden deshalb im BITV-Test nicht erfasst. Am auffälligsten sind die langen Ladezeiten durch die Nutzung des gestrichelten "handgemalten" Fonts, der über @fontface
eingebunden ist, und erst nach ca. 6-8 Sekunden einen Platzhalter-Font ersetzt. Links reagieren während der Ladezeit von @fontface
nicht.
Die Nutzung ohne JavaScript ist besonders dann Einschränkungen unterworfen, wenn Nutzer weitere Anpassungen vornehmen wollen. Wenn man bei Nutzung ohne JavaScript zusätzlich die Schrift vergrößern oder mit eigenen Farben arbeiten will, werden etwa wichtige Schriftgrafik-Links wie "Jetzt Pate werden für ein Kind im Ausland" unsichtbar, und Texte sind zum Teil nicht mehr lesbar. Diese Kombinationen werden vom BITV-Test allerdings nicht erfasst, da grundsätzlich mit "JavaScript an" getestet wird.
Die starke Nutzung von JavaScript-Ebenen bei der Darstellung der Inhalte führt auch zu einigen Orientierungsproblemen.
Die Startseite bietet eine Menge Inhalte auf zusätzlichen Ebenen, die über interaktive Schaltflächen mittels JavaScript eingeblendet werden. Auf der zentralen "Bühne" im Holzlook erscheinen zum Einen die Inhalte einer 'Bereichsebene' mit den vier Bereichen "Spenden", "Patenschaften", "Schenkung und Erbschaft", und "Als Unternehmen helfen", die über die Schaltflächen rechts eingeblendet werden. Außerdem ruft ein Blättermenu im unteren Bereich der Bühne eine 'Teaserebene' auf, welche wechselnde Kombinationen von Schlagzeile, Teaserbild und Grafiklink enthält. Die inhaltliche Abgrenzung beider Ebenen ist dabei nicht so deutlich: auf beiden gibt es Verweise auf Schenkungen, Spenden, und Patenschaften.
Ein Vorteil der Bühnenmetapher: von einem zentralen Einstiegspunkt aus gibt es einen direkten Zugriff auf viele Inhalte, die breit und bunt aufgefächert werden. Hier gibt es also viel zu gucken und zu stöbern: ein nüchterner und sachlicher Eindruck wird vermieden, sattdessen auf das Kindliche angespielt. Die Inhalte sind allerdings genauer betrachtet weniger vielfältig als die zahlreichen Navigationspunkte vermuten lassen. Zum Online-Spendenprozess etwa führen nicht nur Links aus beiden genannten Ebenen, sondern auch der Helfen-Link aus der Hauptnavigation. Dass hier viele Wege nach Rom führen, ist natürlich beabsichtigt und im Interesse des Anbieters, der maßgeblich auf Spenden, Schenkungen und Patenschaften angewiesen ist.
Ein Nachteil der Bühnenmetapher ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen echten Seiten und auf der gleichen Seite eingeblendeten Ebenen-Ansichten. Die Auswahl etwa einer der Schaltflächen rechts auf der Startseite ersetzt den gesamten Inhalt der großflächigen Holzbühne, ganz so, als ginge man auf eine neue Seite. Dass die Inhalte unterhalb der Bühne unverändert bleiben, man sich also eigentlich immer noch auf der Startseite befindet, ist gar nicht ohne weiteres offensichtlich. Dies wird erst zum Problem, wenn Nutzer den Bühnen-Wechsel als neue Seite interpretieren und mit dem Zurück-Button auf die Startseite zurück wollen. Dann wird nämlich für viele unerwartet die Seite geladen, die vor der Startseite aufgerufen wurde. Dies kann auch dann verwirren, wenn erst ein alternativer Bühnenzustand aufgerufen wurde und dann über die Hauptnavigation eine echte andere Seite aufgerufen wird. Denn wer jetzt mittels Browserfunktion zurückspringt, landet zwar auf der Startseite, aber in ihrer Anfangsansicht.
Der Konflikt zwischen Seiten- und Bühnenmetapher zeigt sich auch an Details. Der deutlich grün-auf-weiß hervorgehobene Hauptnavigationspunkt "Startseite", der anfangs (ganz korrekt) nicht auswählbar ist, da er ja die augenblickliche Position anzeigt, wird bei Einblenden von Bereichen aktiv (ohne dabei sein Aussehen zu ändern) und lädt bei Auswahl nun die Anfangsansicht der Seite wohl deshalb, weil viele Nutzer den weit rechts angeordneten Schließen-Knopf, der die Bereichsbühne schließt und zur Anfangsansicht der Startseite zurückkehrt, schlicht übersehen.
Bei Lightboxen und anderen deutlich abgesetzten Fenstern erwarten Nutzer mittlerwiese einen Schließen-Knopf (meist in der rechten oder linken oberen Ecke angeordnet und öfters als "x" umgesetzt) bei Bühnen, die mit dem Hintergrund der Startseite verschmelzen, ist die Funktion eines solchen Bedienelements nicht so einfach ersichtlich.
Die Website von SOS-Kinderdorf vermittelt ihr Anliegen auf verspielte Weise mit vielen Bildern, bunten Buttons, und kurzen Texten. Trotz intensivem Einsatz von JavaScript ist sie für Screenreader-Nutzer gut bedienbar, wie die Biene-Praxistests gezeigt haben. Unser Test zeigt aber auch, dass der Einsatz geskripteter Ebenen zu Orientierungsproblemen führen kann, und dass neue Techniken wie @fontface
zwar altbekannte Probleme lösen (statt Schriftgrafiken gibt es nun "richtigen" Text), aber auch neue Probleme mit sich bringen.
Internetadresse: www.sos-kinderdorf.de
Geprüft am: 27. 1. 2011
Testergebnis: 91,25 von 100 Punkten (gut zugänglich)