22.05.2008
Die WCAG 2.0 unterscheiden sich im Aufbau deutlich von der Vorgängerversion WCAG 1.0 - und auch inhaltlich hat sich einiges getan. Was heißt das für den BITV-Test, der ja auf der deutschen BITV und damit auf den WCAG 1.0 basiert? Müssen Webdesigner völlig umdenken oder sich gar in Zukunft zwischen sich widersprechenden Anforderungen entscheiden?
Die gute Nachricht gleich vorweg: in weiten Teilen decken sich die Anforderungen der WCAG 2.0 mit denen des BITV-Tests. Beide bewegen sich auf dem Boden des aktuellen Konsens in der Fachwelt, entsprechen dem derzeit allgemein akzeptierten Verständnis von Barrierefreiheit.
Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten sind eigentlich auch kein Wunder, schließlich standen wichtige Ziele der WCAG 2.0 - zum Beispiel Prüfbarkeit, Anpassbarkeit an neue Entwicklungen und Entrümpelung durch Abschaffung inzwischen überflüssiger Anforderungen - auch bei der (Weiter-)entwicklung des BITV-Tests stets im Fokus.
Zahlreiche Anforderungen, die in den WCAG 1.0 eher allgemein und schwammig formuliert sind, wurden für den BITV-Test konkretisiert und prüfbar gemacht. Die WCAG 2.0 interpretieren die Anforderungen in den allermeisten Fällen im gleichen Sinne. Ein Beispiel hierfür sind die Prüfschritte zur Strukturierung mit Überschriften: In den WCAG 1.0 steht lediglich, dass Überschriftenelemente zur Darstellung der Struktur von Webseiten genutzt werden sollen. Sowohl der BITV-Test als auch die WCAG 2.0 sind deutlich konkreter und sagen, wozu die Überschriften dienen (Überblick, gezielte Navigation innerhalb einer Webseite, Überspringbarkeit), wie man sie einsetzen sollte (z.B. auch zur Strukturierung von Navigationsbestandteilen) und wie man die Überschriftenstruktur prüft.
Auch die Grenzen der WCAG 2.0 entsprechen in etwa denen des BITV-Tests. So wird zum Beispiel die Leseverständlichkeit im BITV-Test nur sehr eingeschränkt getestet, da diese in der Praxis schwer zu prüfen ist. Aus dem gleichen Grund wurden alle Anforderungen an die leichte Verständlichkeit von Texten in den WCAG 2.0 auf Level AAA eingestuft - der höchsten Stufe also, die ohnehin nicht als allgemeiner Maßstab taugt, da sie (wie die WCAG-2.0-Arbeitsgruppe selbst ausdrücklich schreibt) für einige Inhalte gar nicht erreichbar ist. Die WCAG 2.0-Anforderungen auf Level AA stellen im Vergleich zum aktuellen BITV-Test generell keine Verschärfung dar. Der BITV-Test wird sich wie bisher auch weiterhin an nur praktikablen und prüfbaren Anforderungen der WCAG orientieren.
Der BITV-Test wird seit seiner Veröffentlichung Anfang 2004 jährlich überarbeitet und an neue Entwicklungen angepasst. Das wird auch weiterhin notwendig bleiben, denn auch Webdesign-Techniken entwickeln sich weiter oder entstehen neu, Hilfsmittel und Prüfwerkzeuge werden verbessert. Die WCAG 2.0 sind schon in ihrem Aufbau so angelegt, dass technische Weiterentwicklungen in Zukunft leichter berücksichtigt werden können (siehe den Abschnitt "Aufbau der WCAG 2.0" im ersten Teil dieser Artikelserie).
Mittlerweile überflüssige Anforderungen der WCAG 1.0, die im BITV-Test schon lange nicht mehr berücksichtigt werden, tauchen auch in den WCAG 2.0 nicht mehr auf. Das betrifft beispielsweise die längst veraltete Anforderung, Links nicht direkt nebeneinander zu stellen, sondern durch unverlinkte Zeichen zu trennen.
Bei allen Gemeinsamkeiten zwischen den WCAG 2.0 und dem BITV-Test gibt es natürlich auch Unterschiede, die wir in den nächsten Teilen dieser Artikelserie erläutern.