Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.2 wurden als sogenannte „W3C Recommendation“ veröffentlicht: Damit sind sie ein stabiler Standard und zur Implementierung bereit. Wir informieren hier über die neuen Anforderungen und wie sie in unsere BIK Prüfverfahren integriert werden.
WCAG 2.2. ist da!
Was ist neu?
Im Normalfall sind die WCAG rückwärts kompatibel, das heißt die Anforderungen (Erfolgskriterien) der Vorgänger-Version werden vollständig in den aktuellen Standard übernommen. Das ist auch dieses Mal der Fall, allerdings mit einer Ausnahme: WCAG 2.2 hat das Erfolgskriterium 4.1.1 Parsing so angepasst, dass es nun immer mit PASS (erfüllt) bewertet werden soll. Weitere Informationen unter How and why is success criteria 4.1.1 Parsing obsolete? (englischsprachig).
Es gibt insgesamt 9 neue Erfolgskriterien auf den drei Konformitätslevels A, AA und AAA.
Zwei neue Erfolgskriterien auf Konformitätslevel A:
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3.2.6 Consistent Help (A): Informationen, die Nutzenden Hilfe bieten, müssen innerhalb einer Gruppe von Seiten konsistent platziert werden. Hier geht es z. B. um ein Chat-Fenster, eine Telefonnummer oder eine E-Mail-Adresse, über die Nutzende Hilfe zur Website oder zu den Dienstleistungen des Webseitenanbieters erhalten können. Es geht hier nicht darum, dass solche Dinge angeboten werden, sondern dass, falls sie angeboten werden, sie in der gleichen relativen Reihenfolge zu anderen Seiteninhalten positioniert sind. Dieses Erfolgskriterium kann insbesondere für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen hilfreich sein.
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3.3.7 Redundant Entry (A): Nutzende sollen Informationen, die sie bereits eingegeben haben, innerhalb desselben Prozesses nicht erneut eingeben müssen. Dieses Erfolgskriterium kann insbesondere für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen von Vorteil sein, aber auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die auf Spracherkennung oder Schaltersteuerung angewiesen sind und für die jede Dateneingabe mühsam sein kann.
Vier neue Erfolgskriterien auf Konformitätslevel AA:
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2.4.11 Focus Not Obscured (Minimum) (AA): Elemente dürfen, wenn sie den Fokus erhalten, nicht vollständig durch andere Inhalte verdeckt werden. Wenn ein Element nur teilweise verdeckt wird (z. B. zur Hälfte), ist dies kein Fehler. Dieses Erfolgskriterium kann insbesondere für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und für Tastaturnutzende hilfreich sein, da sichergestellt wird, dass die Fokusposition leicht zu erkennen ist.
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2.5.7 Dragging Movements (AA): Hier geht es um Alternativen für Ziehbewegungen des Mauszeigers, z. B. Drag & Drop, Sortieren durch Dragging, das Bewegen von Slidern und Karussells: Alternativ zu einer Ziehbewegung muss die Bedienung auch mit einer einfachen Zeigeraktion (ohne Ziehbewegung) möglich sein. Dieses Erfolgskriterium hilft Menschen mit beeinträchtigter Feinmotorik und Menschen, deren Hilfsmittel Zeigerbewegungen nicht oder nicht problemlos simulieren können.
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2.5.8 Target Size (Minimum) (AA): Hier geht es um die Klickfläche von interaktiven Elementen: Diese muss entweder mindestens 24×24 CSS Pixel groß sein oder eine der Ausnahmen erfüllen, z. B. wenn kleinere interaktive Elemente weit genug voneinander entfernt sind. Dies kommt insbesondere Menschen zugute, die aufgrund einer muskulären Beeinträchtigung ungenaue oder unstete Zeigerbewegung haben.
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3.3.8 Accessible Authentication (Minimum) (AA): Kognitive Tests, die zur Authentifizierung von Nutzenden verwendet werden, wie z. B. das Lösen eines Rätsels oder das Erinnern eines Passworts, müssen entweder eine Alternative oder einen Hilfsmechanismus zur Verfügung stellen. Kognitive Tests können für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen schwierig oder unmöglich zu lösen sein.
Drei neue Erfolgskriterien auf Konformitätslevel AAA:
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2.4.12 Focus Not Obscured (Enhanced) (AAA): Eine strengere Version von 2.4.11.
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2.4.13 Focus Appearance (AAA): Hier geht es um die Sichtbarkeit eines Fokusindikators.
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3.3.9 Accessible Authentication (Enhanced) (AAA): Eine strengere Version von 3.3.8.
Hintergrundinformationen finden Sie im Blogbeitrag What's New in WCAG 2.2 (englischsprachig). Die WCAG werden von einer Arbeitsgruppe des W3C, der Accessibility Guidelines Working Group (englischsprachig) weiterentwickelt, in der auch unser Geschäftsführer Detlev Fischer aktiv mitarbeitet.
Was bedeutet das für unsere BIK Testverfahren?
Die sechs neuen Anforderungen der WCAG 2.2 werden im kommenden Monat in unsere Test-Dienstleistungen integriert. Wir werden folgende Test-Varianten anbieten:
- BIK WCAG 2.2-Test
- BIK BITV-Test (wie bisher auch)
- BIK BITV-Test (+ WCAG 2.2)
Der aktuelle BIK BITV-Test testet die Anforderungen der EN 301 549 V3.2.1. Diese enthält „nur“ die WCAG 2.1-Kriterien. Diese Version der EN ist derzeit als harmonisierte Norm für öffentliche Stellen gültig.
Die Norm wird jedoch für die Umsetzung des European Accessibility Acts überarbeitet (siehe M/587 bzw. Durchführungsbeschluss der Kommission / C(2022) 6456). Im Rahmen dieser Revision soll sie auch auf WCAG 2.2 aktualisiert werden. Der Zeitplan lässt jedoch erwarten, dass die Veröffentlichung der neuen EN 301 549 im Amtsblatt der Europäischen Union erst Ende 2025 / Anfang 2026 stattfindet. Erst damit wird die Norm zur „harmonisierten Norm“ und damit für Webseitenanbieter, die über Bundes- oder Landesgesetze harmonisierten Normen verpflichtet sind, bindend.
Für den Übergang bis 2025/26 bieten wird dennoch als zusätzliches Verfahren den "BIK BITV-Test (+ WCAG 2.2)" an. Kunden können also zwischenzeitlich selbst entscheiden, ob sie sich nach der geltenden EN oder zukunftssicher nach dem erweiterten Verfahren inklusive der sechs neuen WCAG-2.2-Prüfschritte testen lassen wollen.